Religiöse Kulturen im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts
print

Sprachumschaltung

Navigationspfad


Inhaltsbereich

Dissertationsprojekt: Religion im Parlament. Homosexualität als Gegenstand parlamentarischer Debatten im Vereinigten Königreich und in der Bundesrepublik Deutschland (1945-1990)

„Why was that? Lack of moral sense. Why is there that lack of moral sense? I am sure that one reason is the decline in the practice of the Christian religion.“ Pessimistisch sah Peter Legh, Mitglied des britischen Unterhauses im Jahr 1953 die Zukunft der Briten angesichts sinkender Religiosität. Jenseits apokalyptischer Bilder scheint es jedoch sinnvoll, Aushandlungsprozesse über die Rolle christlicher Religion in gesellschaftlichen Ordnungen anhand von konkreten Fragen zu analysieren. Anfang der 1950er Jahre begannen in der Bundesrepublik und im Vereinigten Königreich unter dem Einfluss sexualwissenschaftlicher, juristischer und theologischer Reformanstöße Debatten um die Entkriminalisierung von männlicher Homosexualität. Dies geschah im Kontext von Veränderungen des Sexualstrafrechts. Bis zum Ende der (langen) 1960er Jahre waren diese abgeschlossen und brachten in beiden Ländern eine umfassende Neubewertung. Während für den Beginn des Untersuchungszeitraums in beiden Staaten von einer ‚christlichen Gesellschaft‘ gesprochen wurde, für die gemeinsame Sittlichkeitsvorstellungen konstitutiv war, verschob sich der Schwerpunkt in der Wahrnehmung der Zeitgenoss(inn)en in den 1960ern zur ‚pluralen Gesellschaft‘, in der ein Recht auf Privatsphäre eingeräumt und zwischen privater und öffentlicher Moral unterschieden wurde. Die schrittweise vorgenommene Liberalisierung fand jedoch in engen Grenzen statt – und hierbei spielten religiöse Moralvorstellungen eine entscheidende Rolle. Moralbasierte Vorbehalte blieben bestehen und wurden unter veränderten Bedingungen in den späten 1970ern und 1980ern reaktiviert.

Der Frage, inwiefern religiöse Argumente im parlamentarischen Diskurs moderner Demokratien eine Rolle spielen, wird anhand einer Rekonstruktion der politischen Debatten um das Konfliktfeld Homosexualität nachgegangen Mittels einer historischen Diskursanalyse wird vergleichend untersucht, wie religiöse Argumente verwendet wurden. Hierfür wird auf die Protokolle und Berichte aus Plenardebatten und Fraktionssitzungen zurückgegriffen.