Religiöse Kulturen im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts
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Dissertationsprojekt: Nur eine "Geld-Emancipation"? Loyalitäten und Lebenswelten des Prager jüdischen Großbürgertums 1800-1867

Jüdische Bankiers- und Unternehmerfamilien spielten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Prag eine bedeutende Rolle. Ihr ökonomischer Erfolg eröffnete ihnen gesellschaftliche Möglichkeiten, die in deutlichem Gegensatz zu ihrer prekären rechtlichen Stellung standen. Der Raum, der innerhalb dieser Diskrepanz entstand, erlaubte der zahlenmäßig kleinen Personengruppe des jüdischen Großbürgertums Kontakte zu vielfältigen religiösen, kulturellen und sozialen Kreisen, deren jeweiliges Selbstverständnis einander häufig auszuschließen schien. Anhand einer exemplarischen Untersuchung von fünf Prager jüdischen Unternehmerfamilien (Lämel, Porges v. Portheim, Jerusalem, Przibram, Dormitzer) möchte mein Projekt diesen Vergesellschaftungsprozess in Abgrenzung zu geläufigen Assimilations- und Akkulturationsparadigmen näher beleuchten, wobei sich für meine Fragestellung folgende Überlegungen als zentral erweisen: Wie sah der Aufstieg dieses Personenkreises aus? Welche Strategien spielten bei der Etablierung in die noch weitgehend ständisch strukturierte Prager Gesellschaft eine Rolle? Welche Loyalitäten prägten das Selbstverständnis des neuen jüdischen Großbürgertums?

Dabei möchte ich einerseits biographisch vorgehen, indem ich Selbstzeugnisse wie z. B. Erinnerungen und Korrespondenzen auswerte und diese mit Fremdzeugnissen, vor allem Zeitungsartikeln und Nekrologen, kontrastiere, um auf diese Weise einen Einblick in ‚Konstruktionsvarianten’ großbürgerlicher jüdischer Identitäten zu gewinnen. Andererseits aber sollen diese Selbstbildnisse resp. Biographien mit Orten verwoben werden, an denen sich Loyalitäten manifestieren konnten, um so die Vielfalt und Hybridität des Selbstverständnisses dieser ‚Grenzgänger’ besser herausarbeiten zu können. Mögliche Aspekte, die bei der Auswahl solcher Räume von Bedeutung sein könnten, wären zum einen die Rolle Prags, das als multiethnische Stadt eine alte bedeutende jüdische Gemeinde besaß, jedoch als Provinzhauptstadt gegenüber Wien stetig an Bedeutung verlor, zum anderen Orte interkonfessioneller Begegnungen, wie Vereine und Gesellschaften, des weiteren Orte, die der eigenen, jüdischen Religion vorbehalten waren, wie vor allem die Kultusgemeinde mit ihren verschiedenen Institutionen (z. B. Friedhöfe), und schließlich die Perspektive über Prag und Böhmen hinaus nach Europa, wo Geschäftsverbindungen geknüpft und Heiratspartner für die Kinder gefunden wurden.

Die Arbeit wurde im Oktober 2011 eingereicht und im Januar 2012 erfolgreich verteidigt.