Religiöse Kulturen im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts
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Bericht Methodenseminar III

Bericht von der Stipendiatentagung in Rom

22.-25. Februar 2011

 

Hier finden Sie den Bericht als Download (PDF-Datei, 66 KB)

 

Auf Einladung von Professor Dr. Martin Baumeister, der zurzeit am Deutschen Historischen Institut (DHI) tätig ist, fand die Stipendiatentagung des Internationalen Graduiertenkollegs „Religiöse Kulturen“ in diesem Wintersemester in Rom statt. Vor Ort erwartete die teilneh-menden Professoren und Doktoranden ein dichtes Programm, das sich aus einem Blockseminar und mehreren, die religiöse Geschichte Roms betreffenden Führungen zusammensetzte. Thema des Blockseminars war die vertiefte Auseinandersetzung mit religionssoziologischen An-sätzen zur Bestimmung des Begriffs „Religion“.nach oben

Nach der Ankunft im Hotel trafen sich die Seminargruppen zu einer letzten Besprechung ihrer Referate. Im Anschluss daran führte Professor Baumeister durch Rom, wobei die Gruppe u.a. am Petersdom, an der Engelsburg, am Pantheon und am Trevi-Brunnen Zwischenhalte einlegte.nach oben

Am nächsten Tag begann der erste Teil des Blockseminars, das in den Räumlichkeiten der Libera Università Maria SS. Assunta (LUMSA) stattfand, mit einem Referat der Doktoranden Adam Dobeš, Jan M. Heller, Magdalena Myslivcová, Marcela Oubrechtová und Heiko Schmidt zu dem US-amerikanischen Ethnologen Clifford Geertz. Die Referenten stellten dessen Konzept der Religion als „kulturelles System“ vor, in dem heilige Symbole mit der Weltauffassung eines Volkes verknüpft würden. Insbesondere die rituelle Praxis festige die religiöse Gemeinschaft durch die Schaffung von Faktizität. In der Diskussion wurde insbesondere die Frage nach dem Verhältnis von Individuum und Kollektiv aufgeworfen sowie versucht, den Begriff „allgemeine Seinsordnung“ auf scheinbar säkulare Weltauffassungen zu beziehen.nach oben

Im Anschluss stellten Šárka Kořínková, Kathrin Linnemann, Marek Vlha und Nina Theofel das Konzept der „unsichtbaren Religion“ des Soziologen Thomas Luckmann vor. Luckmann habe sich gegen die zeitgenössische Säkularisierungsthese gestellt, indem er den engen kirchlich-institutionellen Religionsbegriff ausgeweitet und den Blick auf privatisierte Formen von Religion gelenkt habe. Er unterscheide drei Stufen von Transzendenz, beschreibe Religion selbst aber als anthropologische Konstante. In der folgenden Debatte wurde Luckmanns These vor allem dafür angegriffen, dass der ihr zugrunde liegende Religionsbegriff zu abstrakt sei, um die spezifische Bedeutung des Religiösen fassen zu können. Religion, so ein Kritiker, sei mehr als die Erfahrung von Transzendenz. Andererseits wurde Luckmanns These in wissenschaftsgeschichtlicher Hinsicht als wichtiger Beitrag zur Problematisierung der in den 1960er Jahren hegemonialen Säkularisierungsthese gewürdigt.nach oben

Nach der Seminarsitzung standen ein Besuch der Großen Synagoge sowie eine Besichtigung des Archivs der jüdischen Gemeinde auf dem Programm. Die Synagogenbesichtigung war mit einer Einführung in die jüdische Geschichte Roms durch eine Mitarbeiterin des Jüdischen Museums verbunden, in der besonders der „multikulturelle“ Charakter der jüdischen Gemeinde Roms – die als die älteste Gemeinde in Europa gilt – deutlich wurde. Die Leiterin des Gemeindearchivs gab im Anschluss einen Überblick über die Bestände und berichtete über die Geschichte der Einrichtung. Eine Führung durch das ehemalige jüdische Ghetto, die von Dr. Amedeo Osti Guerrazzi und Anthony Majanlahti geleitet wurde, rundete das Tagesprogramm ab.nach oben

Der dritte Tag begann wieder mit einer Blockseminarsitzung in der LUMSA. Heiner Grunert, Carola Franson, Philipp Lenhard, Tomáš Pavlíček und Felix Westrup stellten zunächst Pierre Bourdieus Theorie des „religiösen Feldes“ vor. Sie legten Wert auf die Feststellung, dass sich Bourdieus deutlich an Max Weber orientierte Theorie besonders für die Analyse von Machtbeziehungen eigne. Moniert wurde in der Diskussion vor allem, dass Bourdieu kaum auf religiöse Inhalte eingehe und sich fast vollständig auf den Nutzen der Religion für die einzel-nen gesellschaftlichen Gruppen beschränke. Zudem wurde angemerkt, dass Bourdieus Theorem speziell auf die katholische Kirche zugeschnitten sei, Übertragungen auf andere Konfessionen oder Religionen dagegen schwierig seien.nach oben

Als letztes Referat stand eine Auseinandersetzung Lisa Dittrichs und Johannes Gleixners mit Niklas Luhmanns systemtheoretischer Auffas-sung von der Religion als eines eigenständigen Subsystems der Gesellschaft auf der Tagesordnung. Auch bei Luhmann stehe die Bedeutung der Religion für das Funktionieren der Gesellschaft im Zentrum der Betrachtung. Sie sei dafür da, Kontingenz zu reduzieren. Dies geschehe durch die Herausbildung binärer Codes wie heilig/profan und immanent/transzendent, welche der Gottesvorstellung zugrunde lägen.nach oben

Nach der Mittagspause erwartete die Gruppe ein Besuch bei Radio Va-tikan sowie ein äußerst informativer Bericht des Leiters der deutsch-sprachigen Redaktion, Bernd Hagenkord SJ. Er gab Einblicke in die alltägliche Arbeit des vatikanischen „Staatssenders“ und sprach auch konkrete Probleme an, die mit dieser Arbeit verbunden sind.nach oben

Am letzten Tag führte Prof. Dr. Stefan Heid vom Päpstlichen Institut für Archäologie durch die beiden Kirchen San Clemente und Santi Quattro Coronati und konnte den Anwesenden durch seine intime Kenntnis Geschichte und Bedeutung der bis auf die frühchristliche Zeit zurückgehenden Anlagen vermitteln.

 

Philipp Lenhard