Religiöse Kulturen im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts
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Bericht zum Methodenseminar IV

Georg-von-Vollmar-Akademie, Kochel am See, 10.-12. Februar 2012

 

Hier finden Sie den Bericht zum Download (PDF-Datei, 93 KB)

Das vierte Methodenseminar des Internationalen Graduiertenkollegs „Religiöse Kulturen im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts“ fand vom 10.-12. Februar 2012 in der Georg-von-Vollmar-Akademie in Kochel am See statt. Erörtert wurden im Laufe von zwei Tagen neuere Dissertationsschriften zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts aus den Bereichen der judaistischen Ostmitteleuropa-Forschung sowie der europäischen Religionsgeschichte. Gruppen von jeweils mehreren Kollegiatinnen und Kollegiaten stellten einzelne Dissertationen in thematischer und vor allem methodischer Hinsicht vor und diskutierten deren Herangehensweise und Ergebnisse im Plenum. Auch Probleme von Stilistik und Formalia wurden an Beispielen besprochen. Aufgrund thematischer und methodischer Ähnlichkeiten wurden einzelne Arbeiten abschließend vergleichend betrachtet. Im Zentrum der meisten Diskussionen standen dabei vor allem Konsequenzen und Anregungen für die eigenen Arbeiten der Promovenden.

Den Anfang machten am Samstagmorgen Carola Franson und Heiner Grunert, die die noch unveröffentlichte Arbeit von Ines Koeltzsch: Geteilte Kulturen. Eine Geschichte der deutsch-jüdisch-tschechischen Beziehungen in Prag 1918-1938. München 2012 analysierten. Nach der Vorstellung des methodischen Konzepts der Arbeit, einer sog. integrierten Stadtgeschichte, wurde der Aufbau der Arbeit deutlich, die in vier hochauflösenden und authentisch erzählenden Teilstudien die Verflechtungen und Beziehungen der durch Selbst- und Fremdwahrnehmungen situativ und prozesshaft konstruierten Gruppen deutlich machte. In der von Doz. Kristina Kaiserová moderierten Diskussion wurde der auf das Plenum stellenweise additiv wirkende Aufbau der Arbeit hinterfragt, der in den Zusammenfassungen der Kapitel und den Schlussbemerkungen am Ende der Arbeit teilweise zu wenig mit den anderen Teilstudien verknüpft und in ihrer Verflechtung untereinander analysiert wurde.

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Methodisch ähnlich geht die Arbeit von Julia Richers: Jüdisches Budapest. Kulturelle Topographien einer Stadtgemeinde im 19. Jahrhundert. Köln u.a. 2009 vor, die von Veronika Seidlová und Jan Heller vorgestellt und deren Besprechung von Prof. Franz Xaver Bischof moderiert wurde. In Abgrenzung zur bisher vorrangig auf die jüdischen Eliten in Budapest beschränkten Forschung und unter besonderer Berücksichtigung von unbearbeiteten Protokollen der jüdischen Gemeinde und einem Schwerpunkt auf gemischtkonfessionelle und jüdische Frauenvereine schrieb Julia Richers eine dynamische Geschichte kultureller Beziehungen im städtischen Raum. Sie bezeichnete die lokalen Interaktionen und Kommunikationen in der multikonfessionellen Stadt als kulturelle Topographien. Die genaue und mit großer Analysetiefe gearbeitete Studie überzeugte durch die Fülle an Informationen und die Vielfalt an Perspektiven auf jüdisches Leben. Unbeantwortet blieb stellenweise jedoch auch hier, ob die Menge von erörterten Beispielen zu einer Geschichte synthetisiert und zu klaren Aussagen verdichtet wurde.

Aus dem Kreis des IGK wurde anschließend die kürzlich sehr erfolgreich verteidigte Arbeit von Martina Niedhammer: Nur eine Geld-Emancipation? Loyalitäten und Lebenswelten des Prager jüdischen Großbürgertums 1800-1867 vorgestellt. Kathrin Linnemann, Heiko Schmidt und Philipp Lenhard besprachen, moderiert von Dr. Robert Luft, äußerst lobend Inhalt, Aufbau, Methodik und Ergebnisse der Arbeit. Überzeugend schienen ihnen dabei die inhaltliche Prägnanz und Kürze, die essayistisch wirkende Strukturierung und Gliederung sowie die breite Quellenbasis der Arbeit.

Im Kreis der Stipendiatinnen und Stipendiaten fand am Abend ein Werkstattgespräch mit den frisch graduierten Dres. des. Martina Niedhammer und Lisa Dittrich statt, das Dr. Heléna Tóth moderierte. Von Speichermedien über den Umgang mit Bibliographierprogrammen, Zeitmanagement sowie Forschungs- und Motivierungsstrategien wurde die weite Ebene des Promovierens aus der Sicht des Davor und Danach besprochen.

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Am nächsten Morgen stellten wiederum zwei Referenten, Marcela Oubrechtová und Johannes Gleixner, die jüngst verteidigte Arbeit von Lisa Dittrich: Antiklerikalismus als europäisches Phänomen. Skandalisierungen in Frankreich, Deutschland und Spanien (1850-1914) dem Kolleg vor, die ebenfalls im Rahmen einer Assoziierung mit dem Kolleg entstand. Die vom Forschungsrahmen und -zeitraum sowie den Vergleichsfeldern her beeindruckend umfangreiche Arbeit überzeugte durch ihre Strukturierung, den Abstraktionsgrad und die Methodik. Die Länderbeispiele wurden in einem integrierten thematischen Vergleich aneinander diskutiert und sachlich klar verglichen. Die von Prof. Martin Baumeister betreute Arbeit, deren Vorstellung und Diskussion er an diesem Morgen auch moderierte, regte ein Gespräch über exemplarisch verschiedene Möglichkeiten des Aufbaus eines wissenschaftlichen Vergleiches an.

In enger thematischer Anknüpfung stellten als letzte Dissertation Felix Westrup, Adam Dobeš und Prokop Siwek die unlängst erschienene Arbeit von Manuel Borutta: Antikatholizismus. Deutschland und Italien im Zeitalter der europäischen Kulturkämpfe. Göttingen 2010 (Bürgertum, N. F. 7) vor. Die Arbeit beschrieb und analysierte die Genese und Ausformung des Antikatholizismus aus der Aufklärung heraus und im Umfeld der Kulturkämpfe in Deutschland und Italien. Borutta arbeitete dabei den Antikatholizismus als zentralen Code des Liberalismus in beiden Ländern heraus und bettete ersteren in die Entstehung der Säkularisierungsthese ein. In der von Dr. Jana Osterkamp moderierten Diskussion wurden sowohl Fragen nach dem Aussagespektrum des Antikapitalismus für die europäische Geistesgeschichte kontrovers diskutiert, als auch in methodischer Hinsicht Aufbau und Umsetzung des Vergleiches der Länderbeispiele in der besprochenen Arbeit.

Innerhalb der Abschlussdiskussion des zweitägigen Seminars hoben die meisten Stipendiaten die Strukturierung des Treffens positiv hervor, innerhalb dessen sowohl methodische, forschungspraktische als auch inhaltliche Themen und Fragen europäischer Religionsgeschichte diskutiert werden konnten.

Heiner Grunert