Forschungsprojekt: Kirche, Bürger und Hof als Akteure der Erinnerung an den Feind. Eine vergleichende Untersuchung zur Funktion des Türken- und Schwedengedächtnisses in Wien und Brünn im langen 19. Jahrhundert
Ausgehend von Ereignissen wie Jubiläumsfeiern, Denkmalerrichtungen oder kirchlichen Feiertagen soll untersucht werden, welche Funktionen die Erinnerungen an die Türkenbelagerung von 1683 in Wien sowie an die Abwehr der Schweden vor Brünn 1645 im 19. Jahrhundert erfüllen konnten und wer daraus Nutzen zu ziehen wusste. Oder anders gefragt: Wann erinnerte welcher Akteur zu welchem Zweck an den Gegner von einst? Denn die wiederholte Aktualisierung dieser Erinnerungen geschah nicht losgelöst vom gesellschaftlichen Kontext, sondern erfüllte immer auch Funktionen, die da sein konnten: Die Legitimierung der Dynastie durch die Erinnerung an kaiserliche Heerführer; die Wiederbelebung jenes Schuldgefühls, das den Einwohnern aus der göttlichen Errettung der Stadt erwachsen war; die Übertragung der historischen Bedrohung und ihrer Überwindung auf einen aktuellen Gegner. Im Rahmen des Projekts wird besonders letztgenanntem Beispiel besondere Aufmerksamkeit zuteil, zeigt es doch, wie sehr erinnerte Gegner Bedeutungsträger darstellen, die als Schablonen zur Markierung und Dämonisierung aktueller Feinde, d.h. zur Produktion und Aktualisierung von Feindbildern dienen können.
Der Vergleich zwischen den beiden Städten und damit auch zwischen den beiden erinnerten Gegnern zielt vor allem auf folgende Fragen ab: Wurden Schweden und Türken unterschiedlich erinnert und diente diese Erinnerung unterschiedlichen Zwecken? Eignete sich ein historischer Gegner besser als der andere zur Stiftung von Identität, zur Markierung eines aktuell Anderen und damit auch zur Produktion von Feindbildern? Welche Rolle spielt dabei Religion als Abgrenzungsmarker, welche die Art und der Aufwand der Inszenierung und Vermittlung von Erinnerung? Ist ein Wandel, auch ein Abbau von Feindbildtauglichkeit festzustellen und wenn ja, warum?
Das langfristige Ziel des Projekts besteht in einer Ausweitung des komparativen Horizonts auch auf andere erinnerte Gegner, wodurch jene Muster deutlicher erkennbar werden sollen, nach welchen die Dynamiken der Funktionalisierung historischer Gegner ablaufen, gerade auch in Bezug auf die Produktion von Feindbildern. Das wiederum könnte Schlüsse auf den Umgang mit Feindbildern und Heterostereotypen auch in der Gegenwart zulassen.