Religiöse Kulturen im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts
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Dissertationsprojekt: Glauben in der Herzegowina. Die Serbisch-Orthodoxen 1878-1918.

In der überwiegend ländlichen und multikonfessionellen östlichen Herzegowina untersuche ich das religiöse Leben der serbisch-orthodoxen Gläubigen – die religiösen Überzeugungen und Praktiken von Laien und Geistlichen sowie ihre Beziehungen zu anderen Glaubensgemeinschaften und dem Staat.

Die östliche Herzegowina ist eine innerbalkanische, zumeist gebirgige Region in direkter Nachbarschaft zum mediterranen, urban geprägten Dalmatien und der Bucht von Kotor. Jahrhunderte lang gehörte sie zu den Randgebieten des Osmanischen Reiches. Dies bedingte eine besondere kulturhistorische Lage der Region: ihre religiöse Vielfalt, häufige Kriege und Aufstände, relative Armut und schwache Bildung, aber auch starken Austausch von Ideen, Menschen und Gütern mit benachbarten Gebieten.

Beginnend mit dem epochalen Herrschaftswechsel von 1878 und der Zeit der österreichisch-ungarischen Verwaltung, über die Zeit des Ersten Weltkrieges und der Gründung des Königreiches SHS/Jugoslawien analysiere ich die Ausprägungen und Wandlungen religiösen Lebens lokaler Glaubensgemeinschaften einer Region. Die Umbrüche von Herrschaft in den Jahren 1878 und 1918 spielen dabei eine wichtige Rolle. Zeitlich schließt die Untersuchung mit der Verabschiedung des Kirchengesetzes und der Kirchenverfassung von 1929 und 1931 – zu einem Zeitpunkt, als die kirchlichen Strukturen und die Beziehungen zwischen dem neuen Staat, der Kirche und ihren Laien reguliert wurden.

Wie in ähnlich armen und ländlichen Regionen auch, war das religiöse Leben der Herzegowina wenig von Priestern und kirchlichen Strukturen geprägt. Die Geistlichkeit, aber auch staatliche Akteure strebten seit der österreichisch-ungarischen Epoche danach, das religiöse Feld stärker zu standardisieren. Um Einheitlichkeit in der Durchführung und Deutung der religiösen Rituale durchzusetzen und die Strukturen der Glaubensgemeinschaft zu stärken, bemühte sich die Kirchenführung den einfachen Klerus zu bilden und seine Arbeit zu professionalisieren. Die in diesem Zusammenhang dauerhaften Auseinandersetzungen zwischen Gläubigen, Geistlichen, Staats- und Kirchenführung werden in ihren Ursachen und Wirkungen auf gemeinschaftlich gelebten Glauben erforscht.

Besonders der Untersuchungszeitraum gilt als Phase der Ethnisierung. Die Umdeutung kollektiver Zugehörigkeit der Menschen von konfessionellen, großfamiliären Gruppen in Richtung auf eine ethno-konfessionelle, nationale Gruppe fand im ländlichen Raum auch unter Beteiligung von Geistlichen und im Umfeld von Konfessionsgemeinden statt. Der Prozess der Ethnisierung der Serben stellte unter anderem eine graduelle Verweltlichung des Begriffes „Serbe“ dar. Zu untersuchen sind daher die Rolle und die Beweggründe von Geistlichen innerhalb dieser Entwicklung.

Insgesamt möchte die Dissertation einen Beitrag liefern zu einer sozialgeschichtlichen Erforschung des Glaubens und der Vergemeinschaftung in einem ländlichen und multireligiösen Raum unter wechselnden Herrschaftsverhältnissen.