Religiöse Kulturen im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts
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Dissertationsprojekt: Wandlungen des Bildes des Anderen im tschechischen Reisebericht des 19. Jahrhunderts

Der Reisebericht ist eine literarische Gattung, in der sich am Deutlichsten das Bild des anderen kulturellen Ganzen vermittelt. Deshalb ist der Reisebericht auch ein privilegierter Gegenstand der vergleichenden Literaturwissenschaft und der Kulturanthropologie.

Die Arbeit beschäftigt sich mit dem Bild des „Anderen“ (des „Fremden“) in der tschechischen Literatur des 19. Jahrhunderts, und zwar in Berichten, die Reisen tschechischer Autoren in Nachbarländer und weitere europäische Länder beschreiben. Der Reisebericht wird nicht in traditionellen literaturgeschichtlichen Kategorien behandelt. Ebenso wenig wird eine subtile Gattungstypologie weiter vertieft, sondern eine komparatistische Imagologie steht im Vordergrund. Dieser Blickwinkel ermöglicht es, die Texte nicht nur als ästhetisch bedeutsam zu sehen, sondern als Medien, spezifische Dokumente, die das Denken ihrer Zeit widerspiegeln. Der Schwerpunkt der Analyse liegt in der Untersuchung der Beziehungen zwischen literarischen Aussagen über die Alterität und deren verschiedene Bedeutungsnuancen, besonders in Zusammenhang mit der Reflexion der tschechischen nationalen Identität und mit den Entwicklungen der Verhältnisse zu anderen europäischen Nationen.
Im Hinblick darauf ist es sehr wichtig, die Rolle von Religion und ihre Bedeutung für diese Entwicklungen zu bewerten. Die Motive und Komplexe, die mit dem Religiösen verbunden sind, werden in zweierlei Art und Weise untersucht:

1) unmittelbar religiöse Motive
2) abgeleitete, „quasireligiöse“ Motive: z. B. die Präsenz des Heiligen Bodens, die Reise als Initiierungsprozess; epistemologische metaphorische Motive, z. B. die Grenze, die Kulturachse, das Labyrinth usw.

In diesem Falle handelt es sich um eine Rekonstruktion literaturgeschichtlicher Vorgänge, in denen sich ursprünglich religiöse Motive profanisieren und entmythologisieren. Man kann über eine Art „Religiosität“ außerhalb traditioneller Kirchen sprechen. In diesem Phänomen spiegeln sich Wandlungen des Religiösen in der Moderne wider, nämlich dessen Rückgang aus der öffentlichen Sphäre in das Privatleben und die Sublimation des menschlichen Grundbedürfnisses nach Transzendenz in anderen, typisch weltlichen Bereichen. In der tschechischen Literatur des 19. Jahrhunderts sind von besonderer Wichtigkeit Themenbereiche wie europäische Identität in Verbindung mit dem römischen Gründungsmythos oder die Beziehungen tschechischer Schriftsteller zum katholischen Staatskirchentum der Donaumonarchie.

Der hinter dem Projekt stehende Ansatz ist interdisziplinär ausgerichtet: Neben der erwähnten Imagologie beruft sich die Arbeit auf kulturanalytische und anthropologische Konzepte, auf den New Historicism und auf die Philosophie des Dialogs.