Religiöse Kulturen im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts
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Dissertationsprojekt: Tod in der Stadt - eine Studie religiöser Lebenswelten im Krakau des 19. Jahrhunderts

Auch in der Moderne bleibt der Tod ein Mysterium. Der Umgang mit dem Tod ist oft mit starken religiösen Vorstellungen verbunden, die gerade in einem so hochsensiblen Kontext wie der Endlichkeit menschlichen Lebens einer besonders strengen Observanz unterliegen und einen großen Symbolcharakter entfalten. Weil der Tod und mit ihm die Frage nach dem „ewigen Leben“ eines der zentralen Themen für alle Religionen darstellt, eignet er sich besonders als Ausgangspunkt für eine vergleichende Religionsstudie.

Dies gilt umso mehr für die Moderne, die alle Religionsgruppen in Folge von veränderten Lebenswelten und aufgeklärtem Gedankengut in diesem Bereich vor ähnliche Herausforderungen gestellt hat. Im Europa des 19. Jahrhunderts verändern sich die Wahrnehmung und der Umgang mit Tod und Sterben nachhaltig. Die Religionsgemeinschaften sind nun nicht mehr alleine für ihre Toten und Sterbenden verantwortlich – Der Umgang mit dem Tod wird professionalisiert, Institutionen und „neue Experten“ für den Tod formieren sich wie Bestattungsunternehmen und kommunale Friedhofsverwaltungen. Auch die Wahrnehmung des Todes akzentuiert sich neu. War diese zuvor vor allem normativ ausgerichtet, indem sie das Jenseits betonte und mit Blick darauf das „gute Sterben“ und damit auch das „gute Leben“ zum Thema machte, so ist sie zunehmend instrumentell geprägt und vor allem an Fragen wie Hygienevorschriften und Krankheitsprävention orientiert.

Wie Religionen auf diese Herausforderungen der Moderne reagieren und diese damit selbst prägen, ist Gegenstand der Dissertation. Für eine solche vergleichende Religionsstudie bietet sich eine lokal begrenzte Mikrostudie an, die die Stadt als Ausgangspunkt nimmt. Denn dort war das Zusammenleben verschiedener Religionen und Weltanschauungen oft die Regel. Diese Koexistenz prägte besonders die religiöse Landkarte Polens. Dennoch stellt eine vergleichende Religionsgeschichte dieses multikonfessionellen Landes in weiten Teilen noch ein Desiderat dar.

Insbesondere in den Städten lebte beispielsweise oftmals eine zahlenmäßig große jüdische Gruppe neben der christlichen Bevölkerung. Eine dieser Städte, die sowohl für Katholiken als auch für Juden als Lebenswelt wie auch wegen ihres symbolischen Gehalts Bedeutung besaß, war Krakau. Die Stadt war im 19. Jahrhundert nicht nur ein wichtiger religiöser Ort, sondern auch ein Bezugspunkt für den polnischen Nationalismus, der – wie allgemein in Europa - die Nation als kollektive Organisationsform (neu-)konstruierte und propagierte und damit Religionen teils inkludierte, teils exkludierte oder mit dem religiösen Geltungsanspruch konkurrierte. Krakaus historisches Erbe einer ruhmreichen Vergangenheit als Königshauptstadt ließ die Stadt zu einem bevorzugten Ort für einen nationalen Pathos werden, der sich unter anderem in einer Art politischem Totenkult ausdrückte. Doch Krakau war nicht nur Symbol der Nation und der vergangenen historischen Größe, sondern auch lebendiger Ort der Zerrissenheit zwischen Tradition und Moderne, und der realen Differenzen zwischen ethnischen, politischen, sozialen und religiösen Gruppen. So war Krakau beispielsweise einer der wichtigsten Orte für das Reformjudentum, welches mit den orthodoxen Juden in einen Konflikt geriet. Konflikte, die sich oftmals auch um den rechten Umgang mit den Verstorbenen drehten.

Um den Komplex „Tod in der Stadt“ zu erschließen, sollen Diskurse, Praktiken und Rituale sowie Gegenstände untersucht werden, die die lebensweltliche Erfahrung des Todes im urbanen Raum prägten. Indem die Arbeit erörtert, wie die Menschen mit dem existentiellen Thema ihrer eigenen Endlichkeit umgegangen sind, fragt sie auch nach dem religiösen Gehalt der Moderne und dem Wechselspiel religiöser und säkularer Vorstellungen.