Religiöse Kulturen im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts
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Bericht Sommerschule "Religion und Moderne"

L’viv, 20.-26.09.2010

 

Den Bericht finden Sie auch hier zum Download (PDF-Datei, 89 KB)

Im September 2010 fand die erste Sommerschule des Internationalen Graduiertenkollegs „Religiöse Kulturen im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts“ statt. Sieben Tage lang beschäftigten sich die 26 Teilnehmer – Doktoranden, Post-Doktoranden, Dozenten und Professoren aus Prag und München – mit dem Thema „Religion und Moderne“ und der Stadt L’viv hinsichtlich ihrer Religionsgeschichte.

 
Am L’viver Flughafen angekommen wurde die Gruppe zum Hotel gebracht, wo ein wenig Zeit zur Erholung und ersten Erkundung der Stadt blieb. Am frühen Abend führte dann ein Spaziergang zur Ukrainischen Katholischen Universität [UKU]. Das IGK „Religiöse Kulturen“ hatte dort einen Seminarraum zur Verfügung gestellt bekommen. Oleh Turij, Direktor des Institutes für Kirchengeschichte der Ukrainischen Katholischen Universität und wesentlich an der Organisation der Sommerschule beteiligt, begrüßte die Gruppe und führte durch die Universität. Im Anschluss stellten sich die Teilnehmenden gegenseitig vor, da diese Sommerschule die erste gemeinsame Veranstaltung des Prager und Münchener Kollegs darstellte. Beim nachfolgenden Abendessen in der Mensa der Universität konnten sich die Kollegiaten und Dozenten dann besser kennenlernen. Diese Gelegenheit wurde besonders auch von den Stipendiaten genutzt, um mit ihren Referatspartnern, mit denen sie bisher nur via Email kommuniziert hatten, persönlich zu sprechen.nach oben


Am nächsten Vormittag startete die erste Seminarsitzung der Sommerschule. Die Sitzungen wurden jeweils mit einem Referat von Stipendiaten des Graduiertenkollegs eröffnet. In deutsch-tschechischen Arbeitsgruppen hatten die Stipendiaten jeweils einen längeren Quellentext zum Thema der Sommerschule vorbereitet, ebenso wie weitere Hintergrundinformationen zum Autor, dessen Werk und Rezeptionsgeschichte. Das eröffnende Referat hielten Lida Barner und Marcela Oubrechtová zu Heinrich von Sybels Text „Die politischen Parteien der Rheinprovinzen in ihrem Verhältniß zur preußischen Verfassung.“ von 1847, der das Verhältnis von Kirche und Staat in der Mitte des 19. Jahrhunderts beleuchtet. Im Anschluss präsentierten Kathrin Linnemann und Marek Vlha Tomáš G. Masaryks Untersuchung „Der Selbstmord als sociale Massenerscheinung der modernen Civilisation.“, die eine Verbindung zwischen dem Selbstmord als sozialer Massenerscheinung und dem Phänomen gesteigerter Irreligiosität zu Anfang des 20. Jahrhunderts zieht. Der Nachmittag war einer Stadtführung durch das jüdische L’viv gewidmet. Boris Dorfmann, ein älterer Herr jüdischer Konfession, führte die Gruppe durch das sonnige L’viv. In einer munteren Mischung aus Deutsch, Jiddisch, Ukrainisch und Polnisch, sich auch nicht von lauten Straßenkreuzungen beirren lassend, zeigte er den Teilnehmern unterschiedliche historische Stätten: die Ruinen der alten Synagoge, Mahnmäler und Gedenksteine, die an längst vergangene Zeiten im einst multikulturellen und multikonfessionellen L’viv erinnern.nach oben


Am nächsten Tag stand der Text des protestantischen Theologen Ernst Troeltsch „Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt” auf dem Programm. Die verschiedenen Perspektiven, die dieser Text eröffnet, wurden von Lisa Dittrich, Carola Franson und Michaela Kušnieriková dargestellt. Der Nachmittag brachte eine Führung durch die Stadt L’viv, insbesondere in kirchenhistorischer Hinsicht, mit Yaroslav Hrytsak, Professor an der Ivan-Franko-Universität L`viv. In seiner lebendigen Erzählweise vermochte er auf Aspekte aufmerksam zu machen, die auch bereits erfahrenen L’viv-Reisenden neu waren. Neben der Besichtung mehrerer Kirchen wird vor allem auch die ad-hoc-Führung in der Oper in Erinnerung bleiben, die eine resolute Ukrainerin der Gruppe nahezu aufnötigte.nach oben


Der dritte Tag der Sommerschule war etwas anders gestaltet als die anderen Seminartage und bot den Stipendiaten die Möglichkeit sich von ihren Referatstätigkeiten zu erholen. Zunächst präsentierte Andriy Mikhaleyko, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Institutes für Kirchengeschichte der Ukrainischen Katholischen Universität, ein Forschungsprojekt zur Ukrainischen Unierten Untergrundkirche. Nach der einem Einblick in die Geschichte der Ukrainischen Unierten Untergrundkirche und der Vorstellung des Projektes, das unter anderem mit Zeitzeugeninterviews arbeitet, hatte die Gruppe das Glück mit ehemaligen Aktivisten der Untergrundkirche sprechen zu können. Drei Personen erzählten von ihren Erlebnissen, eine Nonne, ein Geistlicher und eine Angehörige der Untergrundkirche. Die sehr persönlichen Geschichten und auch die Offenheit, mit der die drei die gestellten Fragen beantworteten, waren beeindruckend und mit Sicherheit einer der Höhepunkte der Sommerschule.nach oben


Nach einer kurzen Mittagspause ging es mit dem Bus der Ukrainischen Katholischen Universität und in Begleitung von Oleh Turij nach Zhovkva. Dort angekommen wurde die Gruppe von Sophia Kas’kun in Empfang genommen, die zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten führte. Zhovkva ist eine Planstadt aus dem 16. Jahrhundert und zum großen Teil in ihrer Ursprünglichkeit erhalten geblieben. Mit ihren zahlreichen Gotteshäusern, die von den verschiedenen Glaubensgemeinschaften zeugen, vermag sie einen Eindruck des multikulturellen Galiziens früherer Zeiten zu vermitteln. Nach einer kleinen Pause auf dem fast überdimensionierten Marktplatz ging es weiter zum griechisch-katholischen Kloster Krechiw, das in einer wunderschönen hügeligen Landschaft etwas abseits liegt. Nach einem schmackhaften Abendessen mit Kohlrouladen und Kuchen zeigte ein junger Mönch die Klostergärten sowie die Kirche mit ihren Ikonen.
Zurück in L’viv war der vorletzte Seminartag zwei theologischen Texten aus der Mitte des 20. Jahrhunderts gewidmet. Den Auftakt bildete die Diskussion von Romano Guardinis Essay „Das Ende der Neuzeit“, die von Heléna Tóth, Magdalena Myslivcová und Felix Westrup geleitet wurde. Die Thesen des katholischen Theologen wurden kontrovers diskutiert. Ganz anders stellte sich im Vergleich zu Guardinis Text die Schrift des lutherischen Theologen Friedrich Gogarten „Verhängnis und Hoffnung der Neuzeit“ dar. Diese wurde von Johannes Gleixner, Jan M. Heller und Tomáš Pavlíček vorgestellt.nach oben


Am Nachmittag besichtigte die Gruppe das Zentrum für Stadtgeschichte Ostmitteleuropas. Das Zentrum ist eine Non-Profit Organisation, die geschichtswissenschaftliche Studien besonders im Raum L’viv durchführt. Die Präsentation im Zentrum für Stadtgeschichte bot interessante Einblicke in die Arbeit und die durchgeführten Projekte des Zentrums. Im Anschluss hielt Herr Turij einen kurzen Vortrag über die Religionsgeschichte Galiziens und insbesondere L’vivs.nach oben


Der Samstag stellte den letzten Seminartag der Sommerschule dar und brachte noch einmal eine neue Sichtweise in die Diskussion um Religion und Moderne ein. Adam Dobeš, Martina Niedhammer und Damien Tricoire hatten sich eingehend mit Gershom Scholems Text „Zum Verständnis der messianischen Idee im Judentum“ auseinandergesetzt und stellten nun die komplexen Sachverhalte verständlich dar. Nach einer weiteren angeregten Diskussion schloss sich das Abschlussgespräch zur Sommerschule an. Die Teilnehmer waren überwiegend sehr zufrieden und hatten viele neue Erkenntnisse gesammelt, nicht zuletzt auch durch die Eindrücke, die sich während der Stadtführungen und Begegnungen in L’viv boten.nach oben


Es folgte ein letzter Programmpunkt - die Besichtigung der armenischen Kirche L’vivs und ein Gespräch mit Vertretern der armenischen Gemeinde. Mit ihrer Wandmalerei aus drei Jahrhunderten (14. Jahrhundert, Barock, Jugendstil) gehört die armenische Kirche zu den schönsten Baudenkmälern L’vivs. Das Gespräch mit der Frau des Priesters, die detailreich aus der Geschichte und dem Alltag der Armenier in L’viv erzählte, ebenso wie der Blick in die eindrucksvolle Kuppel der Kirche waren ein schöner letzter Programmpunkt zum Abschluss der Sommerschule. Die freie Zeit bis zum Abend nutzten die Teilnehmer, um Präsente zu kaufen oder auch den großen Lytshakivski-Friedhof, der seit dem 18. Jahrhundert besteht, zu besichtigen. Hier wurde nochmals die ehemalige Multikulturalität der Stadt deutlich, finden sich auf den Grabsteinen doch polnische, ukrainische und deutsche Namen.nach oben


Den letzten Abend nach einer programmintensiven Woche ließen die Sommerschul-Teilnehmer im Kulturcafé „Dzyga“ bei einem gemeinsamen Abendessen ausklingen.

Manina Ott