Religiöse Kulturen im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts
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Bericht des Methodenseminars XI

Schlosshotel Třešť, Tschechien, 7. bis 9. April 2016

Den vollständigen Bericht finden Sie hier zum Download 

Das Methodenseminar des Wintersemesters 2015/2016 fand vom 7. bis zum 9. April in dem idyllisch gelegenen Schlosshotel der tschechischen Kleinstadt Třešť statt. Direkt zu Beginn mussten sich die Kollegiatinnen und Kollegiaten des Internationalen Graduiertenkollegs „Religiöse Kulturen im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts“ berechtigte und auch im weiteren Verlauf des Aufenthalts immer wieder in den ungewöhnlichsten Situationen auftauchende Fragen stellen lassen: Wann wissen sie etwas? Wann glauben sie es? Und wann meinen sie nur etwas zu wissen? Schließlich war dies genau der Fragenkomplex, auf den die in den ersten Sitzungen diskutierten (religions-)philosophischen Texte eine Antwort geben wollten. Die Meinungen zu den vorgestellten Lösungsansätzen divergierten allerdings.

Die Intentionen des Seminars wurden somit von Beginn an erfüllt. Die tschechischen und deutschen Promovierenden des IGK konnten sich nicht nur näher kennenlernen, sondern vor allem angeregte Gespräche über (religions-) philosophische Texte führen sowie über vier, von ehemaligen Mitgliedern des Internationalen Graduiertenkollegs geschriebene Dissertationen diskutieren.

Am ersten Tag begann nachmittags nach der Anreise der deutschen und tschechischen Kollegiatinnen und Kollegiaten die Tagung. Professor Martin Schulze Wessel, betonte, dass die Behandlung philosophischer Texte mit ihrer Thematisierung von glauben, meinen und wissen besonders wichtig sei, da die den Begriffen zugrundeliegenden Konzepte in allen Dissertationsvorhaben von Bedeutung seien. Zunächst wurde Max Schelers Text ‚Vom ewigen Menschen‘ von Jan Zachariáš, Niklas Zimmermann und Tomáš Zouzal vorgestellt. Anschließend folgte, unter der Moderation von Martin Schulze Wessel, eine Diskussion über den Inhalt des Textes und seine (religions-)philosophische Bedeutung. Dieses Prinzip wurde für den von Julia Bloemer und Christoffer Leber vorgestellten Text über die Kategorisierungen des ‚Fürwahrhaltens‘ aus Immanuel Kants Buch ‚Kritik der reinen Vernunft II‘ beibehalten. Danach folgte eine angeregte Besprechung eines Textes Karl Löwiths aus ‚Wissen, Glauben und Skepsis‘ (Präsentation: Josef Herbasch, Claus Spenninger, Dana von Suffrin und Fabian Weber). Den Abschluss des ersten Tages und dieser Diskussionsrunde bildete ein Text von Sergej Nikoljewitsch Bulgakow aus ‚Basic problems of the theory of progress‘. Hierzu folgte die inhaltliche Einleitung durch Jana Černá, Petr Husák und Ester Pučálková.nach oben

Bei allen Texten war deutlich eine eurozentristische Sichtweise festzustellen. Dr. Mirsolav Kunštát regte daher die Runde zur Beantwortung der Frage an, wie man die diskutierten Texte heute in einer globalisierten Welt formulieren könnte.

Am Abend lernten sich die Doktoranden noch bei dem gemeinsamen Besuch einer Bar besser kennen und tauschten auch so manche Fragen aus; ob diese privater oder wissenschaftlicher Natur waren, bleibt ihr Geheimnis. Nur so viel sei verraten: Je mehr man sich austauscht, desto mehr weiß man am Ende - zumindest meint man dies.

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Am zweiten Tag wurden vier Dissertationen ehemaliger KollegiatInnen des Graduiertenkollegs in Hinblick auf ihren methodischen Aufbau vorgestellt und mit drei der vier Absolventen diskutiert. Vormittags begann der Tag mit der Vorstellung der Dissertation ‚Glaubenstoleranz und Schisma im Russländischen Imperium. Die staatliche Politik gegenüber den Altgläubigen in Livland, 1850 – 1906‘ von Heiko Schmidt. Christoffer Leber, Claus Spenninger, Jan Zachariáš und Tomáš Zouzal, die sich im Vorfeld mit dieser Arbeit auseinandergesetzt hatten, stellten die Arbeit nicht nur vor, sondern brachten auch mehrere Punkte zur Sprache, die sie mit Heiko Schmidt klären wollten und die sie als Methodik lobend oder kritisch bewerteten. Heiko Schmidt gab in der anschließenden, von Martin Schulze Wessel moderierten Gesprächsrunde Aufklärung über seine Methodik - vor allem, was die Schwierigkeiten angeht, die vorhandene oder wenig vorhandene Quellenbestände mit sich bringen.

Dieses Prinzip der Vorstellung und anschließenden Diskussion wurde bei der zweiten Dissertation ‚Pastorace či persvaze? Vliv představitelů církve na duchovní pastýře a věřící. (Výzkum zbožnosti věřících, komunikačních strategií a obrazů duchovních v korespondenci na přelomu 19. a 20. století) [Seelsorge oder Disziplinierung? Der Einfluss von Kirchenvertretern auf Geistliche und Gläubige. (Eine Untersuchung zur Frömmigkeit der Gläubigen, den Kommunikationsstrategien und dem Bild der Geistlichen in der Korrespondenz an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert] von Tomáš W. Pavlíček fortgesetzt. Jana Černá, Petr Husák und Ester Pučálková gaben ihren Kollegiatinnen und Kollegiaten eine tiefgehende Präsentation der bisher leider nur auf Tschechisch vorliegenden Arbeit und analysierten die Arbeit methodisch, um eventuelle Problematiken zu erkennen und mit dem Autor zu klären. Tomáš W. Pavlíček war gerne bereit, bei der von Luboš Velek geführten Diskussionsrunde über sein methodisches Vorgehen und Ergebnisorientierung sowie seine ungewöhnliche Kapitelbenennung, die an der Gliederung einer heiligen Messe angelehnt war, zu sprechen.nach oben

In der langen Mittagspause hatten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen Gelegenheit, Třešť zu besuchen. Manche waren glücklich einen funktionierenden Geldautomaten zu finden, der nicht schon mit dem Ende des Geschäftstags aufhörte Geld zu geben. Viele besuchten noch die jüdischen Ecken des Ortes. Man spekulierte amüsiert darüber, ob nun Franz Kafkas Erzählung ‚Die Verwandlung‘ tatsächlich hier stattgefunden habe, wie es die Tafel, die an der Synagoge von Třešť angebracht ist, behauptet. Selbst wenn wir dies nicht wissen können, konnten wir es nicht recht glauben. Interessant war auch, dass eine menschengroße Krippe selbst nach Ostern noch an der Hauptstraße Třešťs aufgestellt war. Tatsächlich ist der Ort über die Region hinaus - allerdings dann im Dezember - für seine vielfältige Krippenlandschaft berühmt.

Nach der Mittagspause stellten Julia Bloemer, Josef Herbasch und Niklas Zimmermann unter der Moderation von Miloš Havelka die Dissertation ‚Glauben im Hinterland. Die Serbisch-Orthodoxen in der habsburgischen Herzegowina 1878 – 1918‘ von Heiner Grunert vor. In dem an die Vorstellung anschließenden Gespräch genossen die Kollegiatinnen und Kollegiaten die Offenheit, mit der sich Heiner Grunert zu seiner Doktorarbeit und seiner persönlichen Vorgehensweise, seinen Begegnungen mit orthodoxen Priestern und einigen anderen Vorkommnissen während der Erstellung der Arbeit äußerte.

Als letzte Arbeit wurde von Dana von Suffrin und Fabian Weber Kathrin Krogner-Kornaliks Dissertation ‚Tod in der Stadt. Religion, Alltag und Festkultur in Krakau 1869 – 1914.‘ auf ihre Methodik hin beleuchtet. In der von Lukáš Fasora moderierten Diskussion gaben Martin Schulze Wessel als Doktorvater sowie von Suffrin und Weber Antworten auf von der Runde aufgeworfene Fragen und vertraten die leider verhinderte Autorin damit würdig.

Den Abschluss der Tagung markierte eine Gesprächsrunde mit den Absolventen Heiner Grunert, Heiko Schmidt und Tomáš W. Pavlíček, moderiert von Marie Grünter. In dieser Runde konnten die Promovierenden ihre Fragen rund um die Schwierigkeiten, die eine Dissertation mit sich bringen kann, in vertraulicher Umgebung stellen und bekamen so detaillierte Antworten, wie man sie tatsächlich nur in einer solchen Runde erwarten kann. Die Fragen deckten eine große Spannbreite ab; von persönlichen oder privaten Fragen hin zur wissenschaftlichen Vorgehensweise. Aufgrund der vertraulichen Atmosphäre wird die geneigte Leserschaft verstehen, dass die Fragen und Antworten nicht in diesem öffentlichen Bericht wiedergegeben werden.

Der zweite Abend verlief ruhiger als der erste. Einerseits waren viele der tschechischen Kollegiaten und Dozenten schon abgereist, andererseits waren die meisten aufgrund des intensiven und konzentrierten Ablaufs zufrieden, aber erschöpft. Dennoch machten sich manche noch einmal in die Stadt auf, um sie zu erkunden. Neben dem jüdischen Friedhof stand der Schlossgarten mit seinem geschichtlichen Lehrpfad auf dem Programm. Das Schlosshotel wurde nun auch von innen auf der Suche nach dem hier und da ausgeschilderten Wellnessbereich ausführlich erkundet. Nach mehreren erfolglosen Runden gaben die meisten die Suche allerdings auf, weshalb einige geneigt waren das hartnäckige Gerücht zu glauben, dass das Wellness-Erlebnis lediglich aus Im-Kreis-Laufen bestand. Leider werden wir nun nie wissen, wo sich der Wellnessbereich letztlich befindet.

Andere amüsierten sich noch bei dem Versuch Dame zu spielen, selbst, wenn niemand mehr genau wusste, wie die Regeln lauteten - selbst nach einer ausführlichen Konsultation von Wikipedia blieben noch einige Punkte unklar. Aus dem ersten Probespiel, bei dem alle zunächst ausprobieren sollten, ob sie tatsächlich spielen konnten oder das nur glaubten, wurde allerdings nie ein zweites, da die beiden gegnerischen Gruppen sehr lange und detailliert potentielle Züge diskutierten und dabei ab und an vom Thema abkamen. Schließlich einigte man sich gütlich auf ein Unentschieden.

Am Samstag, dem Tag der Rückfahrt, stiegen die meisten schließlich mit einem Lunchpaket und dem sicheren Glauben in den Bus zurück nach München, nun um einiges Wissen reicher zu sein.nach oben